Nikab-Debatte spaltet Jamaika-Koalition in Schleswig-Holstein
Montag 11.März.2019 - 04:32
Berlin (Welt) - Katharina K. ist bisher nicht wieder an der Universität von Kiel erschienen. Jedenfalls nicht offiziell, auch nicht, so berichtet es der Sprecher der Hochschule, zu einer Klausur, die die Studentin der Ernährungswissenschaften zum Ende der Vorlesungszeit hätte schreiben können. Die nächste Gelegenheit, dies nachzuholen, wäre Ende März. Am 1. April beginnen dann die Vorlesungen des Sommersemesters.
Es ist eher unwahrscheinlich, dass die 21-Jährige daran teilnimmt. Die Fronten sind verhärtet an der Förde. Nicht nur zwischen der vor gut drei Jahren zum Islam konvertierten Kielerin Katharina K., die nur verschleiert in die Uni kommen mag, und der Leitung der traditionsreichen Christian-Albrechts-Universität, die dieses Verschleiern während der Lehrveranstaltungen grundsätzlich untersagt hat.
Auch in der schleswig-holsteinischen Landesregierung, innerhalb des hier seit eineinhalb Jahren amtierenden Jamaika-Bündnisses, wird über den Umgang mit dem Fall K. gestritten.
Die junge Frau ist, soweit bekannt, die Einzige der insgesamt rund 27.000 Kieler Studentinnen und Studenten, die darauf besteht, vollverschleiert an Vorlesungen und Prüfungen teilnehmen zu dürfen. Seit Oktober 2018 studiert sie Ernährungswissenschaften, bereits am zweiten Tag ihres botanischen Praktikums, so berichtete sie selbst in einer Studenten-Zeitung, sei sie von einem Professor darauf hingewiesen worden, dass ihr gesichtsverhüllender Nikab für ihn ein Kommunikationshindernis darstelle.
Nach einigem Hin und Her erließ das Uni-Präsidium Ende Januar eine Richtlinie, die das Tragen eines Gesichtsschleiers während der Lehrveranstaltungen verbietet.
Seitdem wird nicht nur innerhalb der Universität über juristische Zulässigkeit und gesellschaftspolitische Opportunität dieser Maßnahme debattiert. Einige Hundert Studierende, auch viele Dozenten haben sich bereits öffentlich gegen das Verschleierungsverbot ausgesprochen.
Im Kieler Landeshaus sind es vor allem die Grünen, die sich dieser Kritik unter Verweis unter anderem auf die Religionsfreiheit angeschlossen haben.
Die Regierungspartei verhinderte in dieser Woche eine von ihren Partnern CDU und FDP angestrebte gesetzliche Untermauerung des Vollverschleierungsverbots. Ohne die allerdings, so sehen es viele Juristen an der Förde, hätte die Uni im Fall eines Rechtsstreits mit Katharina K. voraussichtlich keine sonderlich guten Karten.
Politisch wird das Thema vorerst auf die lange Bank geschoben. Die Fraktionen des Jamaika-Bündnisses beauftragten den Bildungsausschuss des Landtags in dieser Woche mit der Durchführung einer Expertenanhörung „zum Tragen eines Gesichtsschleiers in Lehrveranstaltungen“.
Dabei, so heißt es in einem Parlamentsbeschluss, sollen sowohl „relevante Grundrechtsaspekte“ als auch „gesellschaftspolitische Aspekte“ diskutiert werden.
Auch ein von der bayerischen CSU entlehnter Gesetzesantrag der AfD, mit dem das Verschleierungsverbot der Uni legitimiert werden sollte, wurde in den zuständigen Landtagsausschuss überwiesen. An der grundsätzlichen Haltung der beteiligten Parteien wird dieses Zeitspiel mit einiger Sicherheit wenig ändern.
So ging der Grünen-Hochschulpolitiker Lasse Petersdotter in der Landtagsdebatte den Ministerpräsidenten Daniel Günther (CDU) direkt an. Dessen in der WELT geäußertes Argument, ein Gesichtsschleier passe nicht in hiesige Bildungsinstitutionen, sei ein „reichlich ungenauer Ansatz für ein so kompliziertes Verbot“.
Schon vor der Landtagsdebatte hatte Grünen-Fraktionschefin Eka von Kalben betont, dass ihre Partei „nach wie vor keine gesetzliche Änderung“ wolle, die den Hochschulen des Landes ein Verschleierungsverbot ermögliche. „Wir sollten“, so von Kalben, „nicht über jedes Stöckchen springen, das uns Salafistinnen und Salafisten hinhalten.“
Die gesetzliche Einschränkung von Grundrechten sei „der größte Gefallen, den wir denjenigen tun könnten, die einen extremen Islam vertreten“.
In der Tat hatte sich Katharina K. nach der Verhängung des Verschleierungsverbotes durch die Kieler Uni-Leitung mit der Bitte um Rechtsbeistand an die Föderale Islamische Union gewandt, einen in Hannover ansässigen Verein, dessen maßgebliche Akteure nach Einschätzung des niedersächsischen Verfassungsschutzes dem „politischen Salafismus zugerechnet“ werden.
Er setzt sich laut niedersächsischer Landesregierung unter anderem für die uneingeschränkte Möglichkeit zur Verschleierung von Frauen und nach Geschlechtern getrennten Schwimmunterricht in Schulen ein und will dies demnach auch mithilfe von Gerichtsverfahren durchsetzen.
Die Studentin selbst sehe sich allerdings nicht als Vertreterin des Salafismus, schrieb sie den „Kieler Nachrichten“ auf deren Anfrage. Sie teile aber auch nicht die Kritik an dieser Extremform des Islam.
„Die Mehrheitsgesellschaft“, so die nach eigenen Angaben vom evangelikalen Christentum zum Islam gewechselte Studentin, „hat ein falsches Bild vom Salafismus“, das der wissenschaftlichen Sichtweise widerspreche.
Dieses Bild der „Mehrheitsgesellschaft“ vom Salafismus zeichnete am Mittwoch im Landtag der christdemokratische Abgeordnete Tobias Loose nach. Die Föderale Islamische Union, der sich die Studentin K. anvertraut habe, sei eine Organisation, die die freiheitliche Grundordnung bedrohe.
„Wenn wir unsere Freiheit verteidigen wollen“, so Loose, „dann dürfen wir uns von diesen Kräften nicht an der Nase herumführen lassen, wir müssen klar Grenzen aufzeigen und wehrhaft sein.“ Und auch für FDP-Chef Christopher Vogt endet „bei einer Vollverschleierung meine Liberalität“.
Der Nikab einer einzelnen, 21-jährigen Studentin führt CDU, FDP und Grüne, vermutlich nicht nur in Kiel, an die Grenzen ihrer Zusammenarbeit.