"Wenn Frau Merkel versuchen sollte, ihre Kanzlerschaft an Frau Kramp-Karrenbauer zu übergeben, gäbe es sofort Neuwahlen"
BERLIN (SPIEGEL)- Führende Sozialdemokraten schließen aus, im Falle eines Rückzugs von Angela Merkel die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer im Bundestag zur Kanzlerin zu wählen. "Wenn Frau Merkel versuchen sollte, ihre Kanzlerschaft an Frau Kramp-Karrenbauer zu übergeben, gäbe es sofort Neuwahlen", sagte der Chef des konservativen SeeheimerKreises, Johannes Kahrs, dem SPIEGEL.
"Das wird niemand in der SPD mitmachen, allein wir Seeheimer würden Amok laufen", sagte Kahrs. "Die CDU hatte die Auswahl zwischen drei möglichen Vorsitzenden, und sie hat die Niete gezogen. Das hat die Union jetzt davon."
Ähnlich deutlich äußerten sich der Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert sowie der Chef des größten SPD-Landesverbands Nordrhein-Westfalen, Sebastian Hartmann. "Würde Merkel abtreten, wäre das quasi die Aufkündigung der Geschäftsgrundlage dieser Regierung. Wir könnten eine solche Machtübergabe definitiv nicht mitmachen", betonte Kühnert.
"Wir haben einen Koalitionsvertrag mit Frau Merkel als Kanzlerin unterzeichnet", sagte NRW-SPD-Chef Hartmann: "Wir schauen auf uns und werden sicher nichts unternehmen, um die Führungskrise der CDU zu befrieden. Schon gar nicht werden wir ihr bei irgendeiner Erneuerung helfen. Da sollten wir als SPD die Nerven bewahren."
Die Entschlossenheit, Kramp-Karrenbauer keinesfalls zur Kanzlerin zu wählen, durchzieht nach SPIEGEL-Informationen weite Teile der SPD-Führung. Die Sozialdemokraten sehen die CDU-Vorsitzende als Hauptkonkurrentin im nächsten Wahlkampf und wollen unbedingt vermeiden, Kramp-Karrenbauer mit einer Wahl zur Kanzlerin einen frühen Vorteil zu verschaffen.
Kramp-Karrenbauer schärfte jüngst ihr konservatives Profil. Sie sprach nach dem CDU-Werkstattgespräch zu Migration von Grenzschließungen als "Ultima Ratio", sie griff die Deutsche Umwelthilfe an, zuletzt witzelte Kramp-Karrenbauer bei einer Faschingsveranstaltung über Toiletten für das dritte Geschlecht. Bei ihrem Aschermittwochsauftritt in Mecklenburg-Vorpommern legte die CDU-Chefin nach: Sie habe das Gefühl, die Deutschen seien das verkrampfteste Volk, "das überhaupt auf der Welt herumläuft, das kann doch so nicht weitergehen".
Der frühere SPD-Chef Sigmar Gabriel teilt in dieser Frage offenbar Kramp-Karrenbauers Einschätzung. Er verteidigte sie gegen Kritik zu ihrem Karnevalswitz. "Ich frage mich, ob wir vergessen haben, was der Begriff Narrenfreiheit heißt", sagte der SPD-Politiker der "Augsburger Allgemeinen". "Wenn wir jetzt anfangen, im Fasching jedes Wort auf die Goldwaage zu legen, dann wäre vor zehn, zwanzig Jahren die Hälfte der Politiker in Haft genommen worden", fügte Gabriel hinzu. Ob man den Witz gut oder schlecht finde, darüber könne man immer streiten, aber er sei gegen eine öffentliche "Humorpolizei".