Seit August hat Deutschland nur elf Migranten an der Grenze zurückweisen können
Berlin (Welt) - Die nach dem Unionsstreit im vergangenen Jahr beschlossene Kompromisslösung zur Zurückweisung illegaler Migranten an der Grenze ist fast wirkungslos geblieben. Seit August konnten lediglich elf Asylbewerber im Rahmen von neuen Zurückweisungsabkommen an der unerlaubten Einreise gehindert werden.
Nach Angaben des Bundesinnenministeriums wurden bislang „auf der Grundlage der Verwaltungsabsprachen insgesamt 9 Personen nach Griechenland und 2 Personen nach Spanien zurückgewiesen“.
Eine Vereinbarung mit Italien, dem dritten wichtigen Ersteinreisestaat, ist noch nicht unterzeichnet worden. Wie das Ministerium dieser Zeitung mitteilte, hat sich „in Bezug auf die politische Zustimmung von Italien bislang kein neuer Sachstand ergeben“.
Vorangegangen war der Regelung ein heftiger Streit zwischen CSU und CDU, der beinahe zum Bruch zwischen den Unionsschwestern geführt hätte. Im Juni 2018 schlug der für Grenzschutz zuständige Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) Zurückweisungen von solchen Asylbewerbern an der Grenze vor, die bereits in einem anderen EU-Staat registriert waren.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) lehnte dies ab, ein solcher „nationaler Alleingang“ gefährde den Zusammenhalt der EU. Stattdessen versprach sie, auf dem nächsten EU-Gipfel wirkungsvolle Maßnahmen gegen diese Weiterwanderung von Asylbewerbern nach Deutschland zu vereinbaren.
Seehofer: „Effektiv zurückweisen“
Seehofer ging nach heftigem Streit darauf ein, betonte aber: „Wenn der EU-Gipfel keine wirkungsgleichen Lösungen bringt, werden Migranten, die bereits in einem anderen EU-Land registriert sind, zurückgewiesen.“
Bei einem symbolischen Akt wolle er es nicht belassen. „Es geht darum, dass man effektiv zurückweisen kann. Dazu gehören für mich auch temporäre, anlassbezogene Kontrollen auch an anderen Grenzübergängen als den drei stationär kontrollierten in Bayern.“
So weit kam es allerdings nicht, schließlich verständigte sich die Koalition darüber, dass zwar am wichtigen Grenzabschnitt zu Österreich wieder Schutzsuchende zurückgewiesen werden könnten – allerdings nur, wenn für sie im Nachbarland nachweislich schon das Asylverfahren läuft.
Zudem sollten an diesem Grenzabschnitt Migranten zurückgewiesen werden können, die bereits in Spanien, Griechenland oder Italien Asyl beantragten – falls diese Länder die Rücknahme in einem Verwaltungsabkommen zusichern. Spanien und Griechenland taten dies im August, Italien verweigert sich nach wie vor.
Nur elf Mal an der Grenze erwischt
Dass nur elf Mal eine Zurückweisung gelang, liegt vor allem daran, dass die Mehrheit der Weiterwanderer aus den EU-Ländern nicht direkt an der Grenze von den Bundespolizisten erwischt werden konnte. Sobald ihnen aber die Einreise gelungen ist, kommt die Zurückweisung nicht mehr infrage.
Zudem dürfen die Grenzpolizisten die Migranten nur 48 Stunden im sogenannten Transitverfahren festhalten. Sie gelten in diesem Zeitraum juristisch als noch nicht eingereist, obwohl sie sich schon physisch auf deutschem Boden befinden. Diese Frist genügt aber oft nicht, um zum Beispiel einen Rückflug zu arrangieren.
Ohnehin steht die Praxis der Zurückweisungsabkommen auf wackeligen Beinen, denn die für ihre Umsetzung nötigen Grenzkontrollen zwischen Bayern und Österreich sind nur vorläufig. Die Bundesregierung muss die Sondermaßnahme halbjährig von der EU-Kommission genehmigen lassen.
Damit betraute Beamte sagen, dass die anstehenden Verhandlungen darüber „alles andere als ein Selbstläufer“ seien. Schon im Dezember hieß es aus Brüssel: „Im Lichte der Erfolge beim Außengrenzschutz und der Reduktion der irregulären Ankünfte, hält die Kommission die Zeit für gekommen, die 2015 temporär wiedereingeführten Binnengrenzkontrollen zu beenden.“
150.000 illegale Grenzübertritte
Die EU-Kommission hat insofern recht, dass die Zahl der Neuankömmlinge in der EU stark abgenommen hat. Doch auch 2018 wurden von der Grenzschutzagentur Fronteximmerhin noch 150.100 illegale Grenzübertritte festgestellt. Es sind deutlich mehr als vor Beginn der Flüchtlingskrise, als 2013 rund 107.000 und 2012 lediglich 72.000 registriert worden waren.
Vor allem wirkt sich die Reduzierung in den EU-Randstaaten bisher aber kaum auf die Zuwanderung nach Deutschland aus. In die Bundesrepublik kamen im vergangenen Jahr noch 162.000 neue Asylbewerber, mehr als in jeden anderen EU-Staat – ja sogar mehr als in den drei wichtigsten Ersteinreiseländern Spanien, Griechenland und Italien zusammen. Das liegt an einer massenhaften unerlaubten Weiterwanderung.
Das dagegen vorgesehene Mittel der sogenannten Dublin-Überstellung greift nach wie vor selten. 2018 gelang nur in 9209 Fällen die Überstellung von Asylbewerbern in die für sie eigentlich zuständigen EU-Staaten. Das waren etwas mehr als in den Jahren zuvor.
Doch es handelt sich um eine geringe Zahl gemessen daran, dass fast alle hier eintreffenden Asylbewerber aus anderen EU-Staaten kommen, wo sie den Dublin-Regeln zufolge eigentlich ihren Antrag hätten stellen müssen. Hinzu kommt, dass laut Schätzungen von Ausländerbehörden bei den gelungenen Abschiebungen ins EU-Ausland mehr als ein Drittel der Migranten wieder nach Deutschland zurückreist.
Wie dringlich dieses Problem ist, dokumentiert ein Schreiben des baden-württembergischen Innenministers Thomas Strobl, das er vor mehr als einem halben Jahr seiner Parteifreundin, Bundeskanzlerin Angela Merkel, schickte.
Der CDU-Vize kritisierte „bestehende Unzulänglichkeiten im Europäischen Asylsystem“ und verwies auf einen Fall, bei dem sich „diese Mängel am Beispiel der Wiedereinreise einer nigerianischen Familie besonders eindrücklich“ zeigten.
Die Wiedereinreise sei gerade einmal drei Tage nach der Dublin-Überstellung nach Frankreich erfolgt – trotz einer „verhängten neunmonatigen Wiedereinreisesperre“. Es sei „nicht hinnehmbar, wenn nach einem von Anfang bis Ende durchexerzierten Dublin-Verfahren, in dem die Zuständigkeit Frankreichs bereits festgestellt worden ist, nunmehr ein erneutes Verfahren zu laufen beginnt“.
Die CDU dürfe „es nicht zulassen, dass unsere Rechtsordnung“ durch „eine ungesteuerte Sekundärmigration innerhalb der Europäischen Union in Frage gestellt wird“, schrieb Strobl damals.
Eine wirksame Lösung steht noch immer aus.