Merkel bleibt die beliebte Politikerin, aber CDU will sie nicht auf der Bühne sehen
Berlin (Focus) - Kommunalwahlen, Kreis- und Landtagswahlen, Europawahl: Ostdeutschland steht 2019 ein Superwahljahr bevor. In Sachsen wurde die CDU bei der Bundestagswahl 2017 von der AfD geschlagen, der Umfragen 2019 auch in Thüringen und Brandenburg satte Gewinne voraussagen.
Das besonders starke Einbrechen der CDU in Ostdeutschland wird vor allem der Flüchtlingspolitik von Kanzlerin Angela Merkel zugeschrieben. Merkel gilt zwar nach wie vor als beliebteste Politikerin in Deutschland.
Doch Pfeifkonzerte, wie es sie in den letzten Jahren in den ostdeutschen Bundesländern oft gab, wenn Merkel auftrat, möchten sich viele Unionspolitiker dort offenbar lieber ersparen. Die CDU-Landesverbände Thüringen, Sachsen und Brandenburg planen, die Kanzlerin aus den Wahlkämpfen weitgehend herauszuhalten.
"Ein Wahlkampfauftritt der Bundeskanzlerin wird uns in Sachsen nicht helfen", sagte Matthias Rößler, Landtagspräsident in Dresden, unlängst dem „Spiegel“. Auch Thüringens Unionschef und Spitzenkandidat Mike Mohringstellte zu eventuellen Merkel-Auftritten klar: „Marktplatzveranstaltungen wird es nicht geben.
Das wird alles in geschlossenen Räumen stattfinden“. Und Brandenburgs CDU-Chef Ingo Senftleben hofft auf einen Landtagswahlkampf der „guten Laune“, in dem die Bundespolitik „weit weg“ sei. Allenfalls ein paar „niedrigschwellige Formate“ mit der Kanzlerin wie Spargelessen auf dem Bauernhof seien denkbar, wurde eine Quelle aus dem brandenburgischen Landesvorstand zitiert.
Als „Armutszeugnis“ bezeichnet Ingrid Freninez, CDU-Ortsverbandsvorsitzende im brandenburgischen Eisenhüttenstadt, die Ausgrenzung der Kanzlerin. Die CDU musste bei der Bundestagswahl hier das gleiche Schicksal hinnehmen wie in Sachsen insgesamt. Denn mit 22,3 Prozent reichte es in der einstigen „Stalinstadt“ nur für Platz 2 hinter der AfD, die 23,5 Prozent errungen hatte.
In Brandenburg komme es zwar selten vor, beim Kommunalwahlkampf Landes- oder Bundespolitiker einzuspannen, sagte Freninez FOCUS Online. Doch eine Ausgrenzung hält sie für „total absurd“. Und zwar vor allem, was Angela Merkel betrifft. „Ein typisches Männerargument, sie vom Wahlkampf ausgrenzen. Ich stehe zu meiner Kanzlerin – und werde sie einladen, vor den Kommunalwahlen in Eisenhüttenstadt auf dem Marktplatz zu sprechen.“ Die Eisenhüttenstädter CDU-Chefin sei „stolz darauf, dass Merkel Kanzlerin ist, sie hat uns durch viele tiefe Täler geführt“.
Und es scheint, als wenn nicht nur Eisenhüttenstadt den Vorstoß des brandenburgischen CDU-Chefs missbillige. Zumindest twitterte Ingo Senftleben am Montag: „In Brandenburg ist Angela Merkel stets willkommen. Wenn sie uns im Wahlkampf hilft, freuen wir uns.“
Auch CDU in Gera schließt Merkel-Besuch nicht aus
Auch die CDU in Gera will Merkel-Auftritte keinesfalls kategorisch ausschließen. Bei den Zweitstimmen der Bundestagswahl 2017 lag die AfD im Wahlkreis 194 „Gera – Greiz – Altenburger Land“ mit 27,1 Prozent nur hauchdünne 0,2 Prozent hinter der Union. Zwar hält Geras CDU-Kreisvorsitzender Christian Klein „generell wenig davon“, Landes- oder Bundespolitiker bei Kommunalwahlen einzubinden. „Aber wenn sich der Kreisvorstand dafür aussprechen würde, hätte ich damit keine Probleme“, sagte er FOCUS Online.
Eventuelle Proteste gegen die Kanzlerin wären für ihn jedenfalls kein Hindernis, einem Merkel-Auftritt vor den Kommunalwahlen am 26. Mai nicht zuzustimmen. „Da gibt es aber sicher verschiedene Meinungen innerhalb der CDU.“ Er hätte allerdings auch kein Problem damit, sich gegen einen Merkel-Auftritt auszusprechen, wenn dies "die mehrheitliche Meinung des Kreisvorstandes" sei.
Motorradpfarrer aus Sachsen wittert „Verrat an Merkel“
Und in Sachsen sehen das zumindest Kommunalpolitiker, die für die CDU Jahrzehnte als parteilose Abgeordnete im Parlament saßen, ähnlich – wie etwa Roberto Jahn. Deutschlands einziger Motoradpfarrer war 15 Jahre lang für die einstige Merkel-Partei Abgeordneter im Stadtrat Marienberg. Bis der Parteivorstand der Erzgebirgsstadt vor einem Jahr beschloss, bei der kommenden Kommunalwahl am 26. Mai nur noch jene Kandidaten für die Listen zu nominieren, die auch Parteimitglieder sind. Jahn trat aus der Fraktion aus. Und mit ihm acht weitere Parteilose - was die Marienberger CDU die Mehrheit im Stadtrat kostete.
„Natürlich kann man die Kanzlerin dafür kritisieren, wie lange es gedauert hat, ein Einwanderungsgesetz auf den Weg zu bringen oder sich stärker um Integration zu kümmern“, sagte Jahn zu FOCUS Online. Doch insgesamt habe er sich bei „keinem anderen Thema“ der Kanzlerin „so nahe gefühlt wie bei der Flüchtlingspolitik“, so der Motorradpfarrer. „Wenn ich noch für die CDU im Stadtrat sitzen würde, empfände ich es als Verrat, die Kanzlerin aus dem Wahlkampf auszugrenzen.“
"Menschen haben es verlernt, positive Sachen wahrzunehmen"
Überhaupt ärgere ihn, wie sehr es in Deutschland Mode geworden sei, die Dinge schlecht zu reden. Ganz besonders im Osten. Und niemand sei darin „so gut wie die AfD, die vor allem nörgelt, aber keine Perspektiven aufzeigt“, so Jahn. Er selber komme durch seinen Job viel in der Welt rum, was ihn sehr bereichere. „Aber jedes Mal, wenn ich nach Deutschland zurückkomme, denke ich mir: Mann, hier läuft schon viel, sehr viel sehr gut. Die Menschen haben nur verlernt, auf diese positiven Sachen hinzuweisen und sie wahrzunehmen.“