Merkel hat ab jetzt neue Grenzen
Berlin (Mannheimer M.) - Angela Merkel ist nach außen wie ein Chamäleon, sie passt sich an. Seit dem 7. Dezember ist sie nicht mehr CDU-Chefin, jetzt geben im Koalitionspoker andere den Ton vor: die neue Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer, SPD-Chefin Andrea Nahles und der jüngst gekürte CSU-Boss Markus Söder. Alles völlig normal.
Aber das ist nicht die ganze Wahrheit. Am Mittwochabend traf sich der Koalitionsausschuss zur sechsstündigen Beratung wie üblich im Kanzleramt. Zu Gast bei Merkel bedeutet immer noch, dass sie die Sitzung leitet.
Es wurde Stillschweigen vereinbart, als man kurz vor Mitternacht auseinanderging. Kein Wunder, denn nennenswerte Ergebnisse erzielte die Runde nicht. Allerdings will man schon in vier Wochen wieder zusammenkommen. Denn anstatt sporadisch Koalitionskrisen zu entschärfen, soll das Gremium künftig regelmäßiger und damit routinierter Sacharbeit leisten.
Das wiederum ist hauptsächlich Aufgabe der Partei- und Fraktionschefs. Kein Problem für sie, gab „Nur-Noch-Kanzlerin“ Merkel zuletzt zu verstehen. Endlich hat sie etwas mehr freie Zeit für die Regierungsarbeit.
Und wer in diesen Tagen mit ihr direkt zu tun hat, der betont, die Kanzlerin sei „entspannt“ und zeige ein „ausgeprägtes Pflichtbewusstsein“. Es gebe keinerlei Anzeichen, „dass sie nicht bis 2021 im Amt bleiben will“.
Doch auch Merkel hat inzwischen gemerkt, dass die Machtzentren der großen Koalition sich verschoben haben – und zwar weg von ihr und ihrem Kabinett hin zu den Fraktionen und den Parteien. Keiner der Vorsitzenden sitzt mehr am Regierungstisch und ist in die Kabinettsdisziplin eingebunden.
Vor allem die CDU-Fraktion agiert deutlich selbstbewusster, nachdem sich die Abgeordneten des Merkel-Vertrauten Volker Kauder entledigt und Ralph Brinkhaus an die Spitze gewählt haben. Die Positionen werden nun in den Parteien festgelegt und dann über die Bundestagsfraktion und/oder über den Koalitionsausausschuss in die Regierungsarbeit eingespeist.
Sowohl CDU als auch SPD haben der Kanzlerin in den letzten Tagen gezeigt, was der Machtverlust konkret bedeutet: Die Union erarbeitete bei ihrem „Werkstattgespräch“ ein Forderungspapier mit Verschärfungen in der Migrationspolitik, die Genossen legten 17 Seiten mit sozialpolitischen Plänen von Grundrente bis zu höherem Mindestlohn vor.
Und Merkel? Plötzlich ist sie wieder darum bemüht, die Zügel enger zu ziehen.
So distanzierte sie sich in dieser Woche insbesondere von Kramp-Karrenbauers „Ultima Ratio“ einer Grenzschließung für Flüchtlinge. Auch in der Fraktion schlug sie einen Pflock ein: Dem Vernehmen nach erteilte Merkel dem CDU-Vorhaben eine Absage, Betriebsrentner bei den Krankenkassenbeiträgen zu entlasten. „Das geht nicht“, soll sie wegen der Kosten vor den Abgeordneten gesagt haben.