Herausgegeben vom CEMO Centre - Paris
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Eine Studie zeigt, dass der deutsche Arbeitsmarkt nicht ohne Zuwanderung auskommt

Dienstag 12.Februar.2019 - 03:58
Die Referenz
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Berlin (Welt) - Die Diagnose ist wirklich nicht neu, aber sie bleibt aktuell und wird uns trotz aller damit verbundenen politischen Kämpfe in den kommenden Jahrzehnten begleiten: Der demografische Wandel bedroht die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit Deutschlands – und Ökonomen und Arbeitsmarktexperten erwarten, dass nur mehr langfristige Migration den Wohlstand hierzulande sichern kann.

 

Gesunkene Geburtenraten, eine bessere Gesundheitsversorgung und eine längere Lebenserwartung sorgen dafür, dass die Bevölkerung hierzulande schrumpft und der Anteil der Alten an der Bevölkerung zunimmt. Beide Entwicklungen führen wiederum dazu, dass die Zahl der Erwerbsfähigen zwischen 20 und 64 Jahren abnimmt. Das Statistische Bundesamt hat in seiner letzten großen Berechnung dieser Art geschätzt, dass die Zahl der Erwerbsfähigen von 49 Millionen im Jahr 2013 auf nur noch 34 bis 38 Millionen im Jahr 2060 sinken wird.

 

Aktuelle Entwicklungen können diesen Trend lediglich bremsen, nicht aber umkehren: Dass mehr Frauen erwerbstätig sind und berufstätige Frauen länger arbeiten beispielsweise oder dass Ältere über das Renteneintrittsalter hinaus arbeiten. Diese Möglichkeiten, das sogenannte Erwerbspotenzial auszuschöpfen werden allerdings nicht ausreichen – da sind sich die Experten von den Wirtschaftsweisen bis zur Bundesbank und der Bundesagentur für Arbeit einig.

Quelle: Infografik
Quelle: Infografik WELT

Deutschland braucht jedes Jahr 260.000 Zuwanderer

 

Deutschland werde langfristig hohe Zuwanderung brauchen – so lautet unisono die Empfehlung. Anders ließe sich weder der Bedarf an Arbeitskräften decken, noch ließen sich die Sozialkassen stabilisieren, wenn die Generation der Babyboomer in den kommenden Jahren und Jahrzehnten in Rente geht.

Quelle: Infografik
Quelle: Infografik WELT

Die Bertelsmann-Stiftung hat nun neue Zahlen vorgelegt: Demnach braucht die deutsche Wirtschaft in den kommenden vier Jahrzehnten Millionen zusätzlicher Arbeitskräfte aus dem Ausland. Bis 2060 müssten jedes Jahr im Schnitt mindestens 260.000 Menschen mehr aus dem Ausland nach Deutschland ziehen als wieder wegziehen.

 

„Nur so lässt sich der demografiebedingte Rückgang des Arbeitskräfteangebots auf ein für die Wirtschaft verträgliches Maß begrenzen“, heißt es in der aktuellen Studie „Zuwanderung und Digitalisierung“. In dieser Zahl sind nicht nur die benötigten Arbeitskräfte sondern auch Angehörige und Kinder enthalten.

Quelle: Infografik
Quelle: Infografik WELT

Nur ein Teil dieser Migranten werde aus der EU kommen, schreiben die Forscher des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) und der Hochschule Coburg, die die Berechnungen im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung angestellt haben. Im Laufe der Jahre und Jahrzehnte werde die Zuwanderung aus den EU-Staaten zudem stark zurückgehen.

 

Ein Blick zurück verdeutlicht das Auf und Ab der EU-Migration: Von 1970 bis 2009 kamen in der Regel jedes Jahr ungefähr genauso viele EU-Bürger nach Deutschland wie das Land wieder verließen. In vielen Jahren hatte Deutschland sogar einen Wanderungsverlust mit dem Rest der EU. Das änderte sich erst im Jahr 2009 im Zuge der EU-Osterweiterung.

 

Auch die Staatsschuldenkrisen in Südeuropa trugen dazu bei, dass im vergangenen Jahrzehnt weit mehr Menschen aus anderen EU-Ländern nach Deutschland kamen als den entgegengesetzten Weg einschlugen. Und der langanhaltende Aufschwung hierzulande sorgte ebenfalls dafür, dass im Jahr 2017 der Wanderungssaldo mit den anderen EU-Staaten ein Plus von 240.000 Personen erreichte.

 

 

Arbeitsmarktexperten gehen allerdings davon aus, dass die Effekte beider Entwicklungen nachlassen: Das gelte ganz besonders für die EU-Erweiterung. Wer aus diesen Ländern nach Deutschland kommen wollte, sei bereits gekommen, heißt es von Experten. Weil die mittel- und osteuropäischen Länder wirtschaftlich stärker werden, wird es für die Menschen wirtschaftlich weniger attraktiv ist, ihre Heimat gen Westeuropa zu verlassen. Zudem altern und schrumpfen auch die Bevölkerungen in Ost- und Mitteleuropa. Eine Entwicklung, die ebenfalls dafür sorgt, dass weniger Menschen aus diesen Ländern kommen.

Quelle: Infografik
Quelle: Infografik WELT

Die Bertelsmann-Forscher gehen deshalb davon aus, dass ein beständig wachsender Anteil der Arbeitsmigranten aus Ländern außerhalb der EU kommen muss, aus sogenannten Drittstaaten. Zwischen 2018 und 2035 müssten demnach jedes Jahr annähernd 98.000 Migranten mehr aus Drittstaaten nach Deutschland kommen als wieder wegziehen. Im Zeitraum zwischen 2036 und 2050 wären es bereits fast 170.000 Personen netto jährlich und in den zehn darauffolgenden Jahren im Schnitt jedes Jahr beinahe 200.000. „Im Durchschnitt ergibt das von 2018 bis 2060 einen Zuwanderungsbedarf von jährlich 146.000 Migranten aus Drittstaaten“, schreiben die Autoren.

 

Das sind Zahlen, die sich stark von denen anderer Untersuchungen unterscheiden. Im Jahr 2017 hatte die Bertelsmann-Stiftung selbst noch eine Studie veröffentlicht, die von den gleichen Wissenschaftlern verfasst worden war. Damals schrieben sie, dass langfristig jedes Jahr durchschnittlich 533.000 mehr Menschen zu- als abwandern müssten, um die Lücke zu füllen, die durch die Verrentung der Babyboomer entsteht.

 

IAB kam 2017 noch auf höhere Zahlen

 

Für die unterschiedlichen Zahlen gebe es zwei Gründe, sagt Matthias Mayer, der die Erhebung für die Bertelsmann-Stiftung betreut. „Seit der letzten Studie dieser Art hat sich die Datenbasis verändert. Der jüngste Zensus hat ergeben, dass zuvor die Zahl der Ausländer hierzulande unterschätzt wurde und dass die Geburtenrate gestiegen ist“, sagt Mayer. „Zudem haben die starke Flüchtlingsmigration in den Jahren 2015 und 2016 und die Zuwanderung aus den anderen EU-Staaten, die in den vergangenen Jahren ebenfalls hoch geblieben ist, die Lage etwas entspannt.“

 

Hinzu komme ein anderer Fokus der Untersuchung – der durchaus politisch motiviert sei: „In der letzten Studie von 2017 haben wir untersucht, wie das Erwerbspotenzial hierzulande konstant gehalten werden kann. Diesmal haben wir berechnet, wie wir das minimal notwendige Erwerbspotenzial halten können“, erklärt Mayer. „Dieser Mindestwert erscheint uns gegenwärtig die bessere Diskussionsgrundlage, auch weil die Politik mit diesem Wert vermutlich besser umgehen kann. Es kann sein, dass der tatsächliche Bedarf größer ist, aber bei diesem Zielwert scheint uns eine politische Verständigung möglich.“

Der politisch vermittelbare Wert ist allerdings nicht unbedingt der ideale Wert, um den Arbeitskräftebedarf der Wirtschaft zu befriedigen und den Wohlstand hierzulande zu halten. Das IAB, das zur Bundesagentur für Arbeit (BA) gehört und das die Untersuchung für die Bertelsmann-Stiftung mitangefertigt hat, kommt denn auch in einer eigenen Berechnung aus dem Jahr 2017 zu einem anderen Ergebnis: „Um das Arbeitskräfteangebot bis 2060 auf dem heutigen Niveau zu halten, wäre eine jährliche Nettozuwanderung von 400.000 Personen erforderlich“, schrieben die Forscher des IAB damals. Noch im letzten Jahr zitierte Detlef Scheele, der Vorstandsvorsitzende der BA, diese Zahlen des Instituts.

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