Herausgegeben vom CEMO Centre - Paris
ad a b
ad ad ad

Analyse: Welche Fehler hat Merkel während der Flüchtlingskrise in 2015 begangen?

Montag 11.Februar.2019 - 03:24
Die Referenz
طباعة

Berlin (HAZ) - Nein, Risiko-Bereitschaft zählte nie zu den herausragenden Eigenschaften von Angela Merkel. Zaudernd sei sie, nörgelten ihre Kritiker jahrelang. Abwartend bis zur Schmerzgrenze. Eine Politik ohne Kraft und Mut.

 

Bis zum 31. August 2015. „Wir schaffen das!“, sagte die Kanzlerin mit Blick auf Hunderttausende Flüchtlinge, die sich in jenem Spätsommer über Ungarn auf den Weg nach Deutschland machten.

 

Erstmals setzte Merkel alles auf eine Karte. Ihr „Wir schaffen das“ wurde zum Kern-Slogan der neuen „Willkommenskultur“. An ihm entzündet sich seither die Kritik.

Lesen Sie auch: Was auf Merkels “Wir schaffen das“ folgte

 

An diesem Sonntag setzt sich die CDU erstmals mit der Flüchtlingspolitik ihrer langjährigen Parteivorsitzenden auseinander – ohne Merkel selbst: Nachfolgerin Annegret Kramp-Karrenbauer hat ein sogenanntes Werkstattgespräch initiiert.

Doch was wird Merkel von ihren Kritikern eigentlich vorgeworfen?

 

Die „Grenzöffnung“

Die Entscheidung Merkels von 2015, die Grenzen nicht zu schließen, als aus Ungarn syrische und irakische Flüchtlinge nach Deutschland strömten, rief sofort zahlreiche Kritiker auf den Plan. Sie führte zu einem unversöhnlichen Streit mit dem damaligen CSU-Chef Horst Seehofer und zu Widerstand bis hinauf in höchste Sicherheitskreise.

 

Inzwischen ist unbestritten, dass die Bundespolizei bereits Vorkehrungen für eine Abriegelung der bayerisch-österreichischen Grenze getroffen hatte. Merkel entschied sich dagegen. Zu groß war ihre Angst vor Bildern deutscher Polizisten, die mit Waffen im Anschlag auf Frauen und Kinder zielen. 

 

In der Folge strömten zahlreiche Flüchtlinge ohne Pässe unkontrolliert nach Deutschland. Viele von ihnen stellten sich später weder als Syrer noch Iraker heraus. Einige konservative Staatsrechtler warfen Merkel vor, durch das Verhindern von Grenzkontrollen einen Teil deutscher Souveränität aufgegeben zu haben. Andere widersprechen, sie habe gemäß der EU-Regeln gehandelt.

 

Der „Kontrollverlust“

Innerhalb weniger Wochen türmten sich ab 2015 Hunderttausende von Asylanträgen in den Amtsstuben des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf). Ohne Datenabgleich zwischen den Bundesländern wurden viele Flüchtlinge mehrfach registriert. Wer wo geblieben war, entzog sich oftmals dem Wissen der Behörden. 

 

Der spätere Berlin-Attentäter Anis Amri wurde unter mindestens sieben verschiedenen Alias-Namen geführt. „Es kommen nicht nur Engel“, warnte Lorenz Caffier (CDU), Innenminister in Mecklenburg-Vorpommern und enger Vertrauter der Kanzlerin. Abschiebungen straffällig gewordener Asylbewerber ziehen sich immer noch oft über Jahre hin.

 

Der „Pull-Effekt“

 

Das Selfie, das Angela Merkel am 10. September 2015 in Berlin in einer Erstaufnahmeeinrichtung für Asylbewerber der Arbeiterwohlfahrt (AWO) mit dem irakischen Flüchtling Shaker Kedida machen ließ, erlangte ikonographische Berühmtheit. Kritiker kreiden der Kanzlerin an, mit diesem Bild das Signal in die Welt ausgesendet zu haben, Deutschland stehe für jeden offen. Sie habe Flüchtlinge regelrecht „angezogen“. Die Rede war von einem „Pull-Effekt“ – wie bei einem Magneten.

 

Der „EU-Türkei-Deal“

Hinter der Fassade der angeblichen Willkommenskultur leitete Merkel sehr früh eine politische Kehrtwende ein. Auf Betreiben ihres damaligen Kanzleramtsministers Peter Altmaier (CDU) wurde noch im Herbst 2015 der sogenannte EU-Türkei-Deal eingefädelt. Brüssel sicherte Ankara Milliarden-Zahlungen zu, auch zur Betreuung in der Türkei gestrandeter Flüchtlinge.

 

Als Gegenleistung riegelte die Türkei ihre Außengrenzen ab und hinderte Flüchtlinge gewaltsam daran, an den Küsten des Landes die Boote von Schleusern zu besteigen. Nach dem Deal kamen deutlich weniger Flüchtlinge über die Balkanroute nach Deutschland. Jetzt jedoch musste sich Merkel plötzlich Kritik aus ganz anderer Richtung gefallen lassen: Sie paktiere mit Recep Tayyip Erdogan, der in der Türkei die Menschenrechte verletze.

 

Die „Obergrenze“

Kaum ein Streitthema sorgte so für Schlagzeilen wie die Auseinandersetzung zwischen Merkel und Seehofer um eine Obergrenze für Flüchtlinge. Auf dem CSU-Parteitag in München am 20. November 2015 ließ Seehofer Merkel 13 wie ein Schulmädchen neben sich stehen und las ihr die Leviten. Danach war das Tischtuch zwischen den beiden zerschnitten, das Verhältnis der Schwesterparteien vergiftet. Seehofers Forderung einer Obergrenze lehnte Merkel kategorisch ab.

 

Erst nach der Bundestagswahl fanden sie zwecks Koalitionsbildung einen Kompromiss: Jährlich 200.000 Menschen sollten als Asylbewerber und Flüchtlinge kommen dürfen, Arbeitsmigration oder EU-Freizügigkeit fällt nicht unter die Deckelung – die zudem bei humanitären Krisen überschritten werden darf. Zudem sollen neue Asylbewerber in „Ankerzentren“ bleiben, bis über ihre Verfahren entschieden ist.

"