Herausgegeben vom CEMO Centre - Paris
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Werkstattgespräch: CDU-Mitglieder und Migrationsexperten diskutieren über Merkels Asylpolitik

Samstag 09.Februar.2019 - 04:03
Die Referenz
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Berlin (Welt) - Der Internet-Fernsehkanal der CDU bringt nicht unbedingt Quotenhits hervor. Der Unterhaltungs-, bisweilen auch der Informationswert der in der Parteizentrale stattfindenden Veranstaltungen hält sich ja auch meist in engen Grenzen. An diesem Sonntagabend ab 19 Uhr könnte es allerdings einen veritablen Hit aus dem Konrad-Adenauer-Haus geben.

 

Denn die CDU will den ersten Teil ihres sogenannten Werkstattgesprächs zum Thema „Migration, Sicherheit, Integration“ im Livestream senden. Lange war unklar, wie öffentlich die Veranstaltung ist. Nun hat CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer eine sehr transparente Variante gewählt. Mit Bedacht. Denn so minimiert sie die Gefahr, in die Falle zu tappen, in die ihre Vorgängerin, Kanzlerin Angela Merkel (CDU), mehrmals in ihrer Amtszeit geraten ist.

 

Das Werkstattgespräch ist für die beiden Frauen eine heikle Angelegenheit. Als Kramp-Karrenbauer es am Tag nach ihrer Wahl zur neuen Parteichefin im Dezember ankündigte, waren die Interpretationen relativ einmütig: Die neue Chefin setze sich von der alten ab, hieß es sofort. Eine Abrechnung mit Merkels Flüchtlingspolitik wurde erwartet. Das begeisterte die einen und entsetzte die anderen.

 

Dabei war die Annahme, dass hier mal eben die Politik der Kanzlerin abgeräumt werden solle, immer naiv. Eine solche Intention hätte nicht nur das Verhältnis zwischen Kramp-Karrenbauer und Merkel schwer belastet – woran keine der Frauen ein Interesse hat. Sie hätte auch im Widerspruch zur jahrelangen Haltung der Saarländerin in der Asylpolitik gestanden. Damit war also nie zu rechnen.

 

Mitnichten eine Distanzierung von Merkel

 

Die Gefahr für Kramp-Karrenbauer war und ist eine ganz andere. Nämlich die, dass das Werkstattgespräch zu einer Art „Reinwaschung“ der Flüchtlingspolitik Merkels werden könnte. Die CDU-Chefin sprach anfangs davon, „mit Experten und auch Kritikern der Migrations- und Flüchtlingspolitik“ sprechen zu wollen. Damit setzte sie sich mitnichten von Merkel ab. Denn diese beruft gerne Expertenrunden ein, um ihre Entscheidungen pseudowissenschaftlich begründen und außerhalb der politischen Sphäre legitimieren zu lassen. Wenn nötig, geschieht das auch nachträglich.

 

Das bekannteste Gremium dieser Art war jenes, das nach der Reaktor-Katastrophe von Fukushima 2011 den Atomausstieg diskutierte und rechtfertigte. Der politische Erfolg hielt sich aber in Grenzen. Der Vorwurf der „Reinwaschung“ von Politik stand immer im Raum. Den berufenen Experten haftete der Ruch von „Erfüllungsgehilfen“ an. Zumal keine dieser Veranstaltungen öffentlich war. Kritiker, so hieß es pauschal, ließen sich dort zähmen. Es ist bezeichnend, dass Merkel nach den flüchtlingspolitischen Entscheidungen von 2015 auf die Einberufung eines solchen Rats verzichtet hat. Kramp-Karrenbauer läuft mit ihrem Werkstattgespräch nun aber Gefahr, genau dies ohne Not nachzuholen.

 

Dass die Öffentlichkeit am Sonntag per Internet zusehen kann, verringert das Risiko zumindest. Zudem vertreten die Geladenen durchaus widerstreitende Positionen: Der Jurist Daniel Thym von der Universität Konstanz vertritt die Auffassung, dass die Grenzöffnung von 2015 keinen Rechtsbruch dargestellt habe. Dagegen kritisiert Rechtswissenschaftler Christian Hillgruber von der Universität Bonn, dass die Entscheidungen von 2015 völlig intransparent gewesen seien, was er für „demokratisch unerträglich“ erachtet. Für ihn ist die Flüchtlingskrise eine Krise des Rechts.

 

Der Dritte, Gerald Knaus von der Denkfabrik Europäische Stabilitätsinitiative, ist Vordenker des Flüchtlingsdeals mit der Türkei und vertritt die Auffassung, dass Demokratie mit offenen Grenzen nicht gehe. Schließlich tritt mit Egbert Jahn ein Politikwissenschaftler auf, der seine Kritik auf folgenden Punkt bringt: Wer für mehr Flüchtlinge ist, will mehr AfD.

 

Am Montag wird dann laut Plan in vier Gruppen weiterdiskutiert. Erwartet werden zwischen 80 und 120 Leuten, die alle mit Flucht, Asyl und Migration auf verschiedensten Ebenen zu tun haben. Es handelt sich dabei nur in Ausnahmefällen um Profipolitiker. Doch die Leitung der einzelnen Gruppen übernehmen jeweils CDU-Parlamentarier oder gar Landesminister. Es geht unter anderem um Integration vor Ort, innere Sicherheit und Abschiebepraxis, Ordnung und Steuerung der Migration. Die konkrete Aufarbeitung dessen, was da 2015/16 politisch passierte, ist also nicht geplant. Dies dürfte sich eher in der Expertenrunde am Tag davor abspielen.

 

Dieses Thema schwingt gleichwohl sicher auch in den Arbeitsgruppen mit, doch gerade die Praktiker dürften ein Interesse haben, nicht zurückzuschauen, sondern nach vorne. Auch haben sie gewiss nicht die Absicht, ihre eigene Arbeit schlecht zu machen, sondern allenfalls noch besser. Diese Diskussionen sind nicht öffentlich, werden aber im Anschluss 90 Minuten lang vor laufenden Kameras rekapituliert.

 

Die Gefahr, dass ein Scherbengericht über Merkels Politik abgehalten wird, hat Kramp-Karrenbauer auch dadurch gebannt, indem sie die Veranstaltungen für alle Mitglieder der Gremien der CDU öffnete. Gerade die Gremienmitglieder waren es aber, die seinerzeit die Politik der Kanzlerin mitgetragen haben. Sie dürften ihr nun nicht in den Rücken fallen.

 

Als Gremiumsmitglied hätte auch die Kanzlerin teilnehmen können. Aber Merkel hat für sich daraus nie das Recht abgeleitet, ohne explizite Einladung einfach kommen zu können. Eingeladen wurde sie nicht. Dass sie abgesagt habe, wie berichtet wurde, ist also ebenso falsch wie doch irgendwie auch richtig.

 

Eine offizielle Einladung erhielt hingegen die CSU. Damit landete Kramp-Karrenbauer bei der Klausurtagung der Partei in Seeon Anfang Januar durchaus einen Coup, der dort als mutige Geste verstanden wurde. Blieb die Frage, welcher CSU-Politiker dabei sein sollte. Dafür holte sich die CDU-Vorsitzende beim neuen CSU-Chef Markus Söder Rat. Der riet ihr, Bayerns Innenminister Joachim Herrmann einzuladen.

 

Ein geschickter Schachzug, weil er am ehesten den Absichten Söders und Kramp-Karrenbauers Rechnung trägt, wieder Ruhe in die Union zu bringen. Auf Bundesinnenminister Horst Seehofer, den Landesgruppen-Chef im Bundestag, Alexander Dobrindt, oder Söder selbst hätte sich viel zu viel Aufmerksamkeit gerichtet. Außerdem waren die drei Christsozialen während des heftigen Unionsstreits über die Migrationspolitik die wichtigsten Stichwortgeber. Herrmann hingegen hatte sich eher zaghaft an der Auseinandersetzung beteiligt – und die Kanzlerin nicht persönlich attackiert.

 

In der Theorie also ist es Kramp-Karrenbauer durchaus gelungen, die Balance zwischen Merkel-Kritik und Merkel-Bestätigung zu halten. Dafür stehen der Aufbau der Veranstaltung, die relativ hohe Transparenz und die eingeladenen Teilnehmer. Es ist nicht zu erwarten, dass die Handlungsempfehlungen, in die das Werkstattgespräch münden soll, die Asylpolitik der Bundesregierung konterkarieren. Am Ende sind wohl auch doch einfach zu viele dabei, die diesen migrationspolitischen Kurs über die Jahre mitgestaltet und mitgetragen haben.

 

 

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