Merkel ist wenig von Wut und Unzufriedenheit in Ostdeutschland überrascht
Berlin (Welt) - Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat Verständnis für Wut und Unzufriedenheit in Ostdeutschland geäußert. „Ich finde es nicht so verwunderlich, dass es in Ostdeutschland Frustrationen gibt“, sagt Merkel in einem Gespräch mit der „Zeit“. „Das Land war vielleicht nie so versöhnt, wie man dachte.“
Die Ostdeutschen seien noch immer in vielen Führungspositionen unterrepräsentiert. Viele Ostdeutsche hätten beispielsweise lange akzeptiert, weniger zu verdienen. „Hoffnungen, die Angleichung werde schnell gehen, sind in einigen Bereichen zerstoben“, erklärt Merkel. Zugleich wachse bei ihnen ein bestimmtes Gefühl, die eigenen Verdienste nicht ausreichend gewürdigt zu sehen.
Merkel vergleicht die derzeitige Situation mit den 68ern: „Oft denke ich, es ist ein wenig, wie es 1968 im Westen war, denn auch damals wurde bohrend nachgefragt: Wer seid ihr vor 1945 gewesen? Und wie seid ihr danach damit umgegangen? So befragen wir uns heute mit Blick auf den Zeitenwechsel von 1989 auch“, sagt die Kanzlerin.
Auch, dass die Wut im Osten sich oft gegen sie persönlich richte, überrasche sie nicht: „Das ist nicht paradox“, sagt Merkel. „Das begann schon mit der Euro- und Finanzkrise und hat sich dann durch die vielen Flüchtlinge, die zu uns kamen, noch einmal verstärkt.“ Damals habe es sich um eine humanitäre Notsituation gehandelt. Es hätte sie nicht verwundert, dass sich viele Menschen in den neuen Ländern mit ihrer Entscheidung noch etwas schwerer taten als in den alten Ländern. „Es gab in der DDR zu wenig Erfahrung mit anderen Kulturen“, so Merkel.
Schon im Physik-Studium Männer sehr dominant
Ungleichheit sieht die Bundeskanzlerin nach wie vor auch bei der Behandlung von Männern und Frauen. „Parität in allen Bereichen erscheint mir einfach logisch“, so die Bundeskanzlerin. Sie erzählt auch von ihren eigenen Erfahrungen. Schon als Physikstudentin habe sie Männer an der Uni als sehr dominant erlebt. In der Politik habe sich der Eindruck bestätigt: „Mein Blick für Benachteiligungen, die auf Frauen zukommen, hat sich geweitet, weil ich Einsichten in sehr viele Lebensbereiche bekam“, so Merkel. Es gebe Gebiete, auf denen Frauen es einfach schwerer hätten, „weil sie dort erst einmal neue Muster prägen müssen“.
Für einen Mann sei es zum Beispiel „überhaupt kein Problem, hundert Tage hintereinander einen dunkelblauen Anzug zu tragen, aber trage ich innerhalb von zwei Wochen viermal den gleichen Blazer, dann erzeugt das Bürgerpost“. Dass sie als Frau milder betrachtet wird, glaubt die Kanzlerin nicht: „Das war schon während der Euro-Krise so – und in der Flüchtlingsfrage auch. Da zog ich genauso die Pfeile auf mich, wie es einem Mann passiert wäre.“