Erdogan-Regime hält NBA-Star Kanter für Terroristen
Berlin (Tagesanzeiger) - Er ist ein Star am Ball. Seit acht Jahren
wirft Enes Kanter in der NBA Körbe, annähernd 100 Millionen Dollar hat er in
dieser Zeit verdient. Bei den New York Knicks spielt er derzeit, und im Big
Apple wissen sie den Wert des Centers zu schätzen, der 1992 in Zürich zur Welt
gekommen ist: Er ist Leistungsträger, allein in dieser Saison bezahlen sie ihm
mehr als 18 Millionen Dollar.
Bei der türkischen Regierung dagegen hält sich die Freude über den
besten Basketballer des Landes in sehr engem Rahmen. Kanter ist ein Anhänger
der Hizmet-Bewegung des islamischen Geistlichen Fethullah Gülen. Diese wird von
Staatspräsident Recep Erdogan als terroristische Vereinigung angesehen, Gülen
gilt in der Türkei als Staatsfeind Nummer 1. Erdogan verlangt schon länger die
Auslieferung des seit 1999 im Exil in den USA lebenden Gülen.
Er nannte ihn «Hitler»
Spätestens seit dem Putschversuch in der Türkei im Juli 2016, für den
Erdogan die Hizmet-Bewegung verantwortlich macht, bezieht Enes Kanter
öffentlich Stellung gegen den umstrittenen Staatspräsidenten. Er nennt ihn
«Diktator» und «Hitler unseres Jahrtausends», einen «sehr, sehr schlechten
Menschen». Diese Botschaften platziert er auf seinen sozialen Netzwerken und
erreicht damit Hunderttausende – nicht zuletzt türkische Jugendliche, die ihn
als Sportler vergöttern. Andererseits wird er in diesen sozialen Medien von
Erdogan-Anhängern aufs Übelste beleidigt und mit Morddrohungen eingedeckt.
Die Regierung in seiner Heimat versetzt er mit seiner klaren Haltung in
Rage – und sie würde ihn gerne dafür zur Verantwortung ziehen. 2017 annullierte
sie Kanters Pass, als sich dieser zwecks Ferien im Flieger nach Rumänien
befand. In Bukarest angekommen, wurde Kanter die Einreise untersagt – doch der
gar offensichtliche Plan, damit die Ausschaffung in die Türkei zu erzwingen,
misslang. Kanter kehrte in die USA zurück und ist seither – nach eigenen
Angaben – staatenlos.
Todesangst vor London-Trip
Vor wenigen Tagen folgte die nächste Eskalationsstufe. Wie die
regierungsnahe Zeitung «Sabah» berichtet, fordert die Istanbuler
Staatsanwaltschaft von den USA die Auslieferung des Basketballers. Ausserdem
werde Kanter jetzt international gesucht – sein Name stehe neuestens auf der
Fahndungsliste von Interpol. Sein Team, die Knicks, bestreitet heute Donnerstag
in London ein Meisterschaftsspiel gegen die Washington Wizards. Kanter ist
nicht mit nach Europa geflogen. Er fürchte um sein Leben, erklärte er der «New
York Post»: «Es ist für Erdogan ein Einfaches, mich dort töten zu lassen.»
Kanter nimmt die jüngste Entwicklung trotzdem mit Humor, ein Stück weit
zumindest. «Das Einzige, was ich terrorisiere, ist der Basketballring»,
schreibt er auf Twitter mit einem Video, das ihn bei einem Dunk zeigt. Und
weiter postet er: «Die türkische Regierung hat keinen einzigen Beweis gegen
mich in der Hand. Ich habe in den USA nicht einmal eine Parkbusse. Ich bin ein
unbescholtener Bürger.»
Inzwischen eilen ihm Politiker aus den USA und andernorts zu Hilfe.
Kanter traf den republikanischen Senator Marco Rubio, und dessen Parteikollege
Peter King sagt: «Wir dürfen es nicht erlauben, dass Erdogan Menschen in den
USA terrorisiert. Das macht er schon mit den Menschen im eigenen Land.» Der
frühere Schachweltmeister Gary Kasparow, heute Oppositionspolitiker in
Russland, sagt deutlich: «Das passiert, wenn Autokraten die Instrumente der
freien Welt missbrauchen.»
Angst um seine Eltern
Wie weiter? Dass Kanter ausgeliefert wird, scheint ausgeschlossen –
schon nur die (von der Türkei) entzogene Staatsbürgerschaft dürfte dies ja
verhindern. «Ich besitze für die USA eine Green Card und werde nun versuchen,
amerikanischer Staatsbürger zu werden», sagt Kanter selbst.
Angst aber hat er um seine Familie. Wegen seiner glühenden Verehrung
der Hizmet-Bewegung ist es zwischen ihm und seinen Eltern zum Streit gekommen.
Gesehen haben sie sich seit Jahren nicht.
Trotzdem weiss der Basketballer, wie es ihnen geht. Nach ihrer Zeit in
der Schweiz – sein Vater Mehmet hat an der Universität Zürich seinen
Doktortitel in Medizin erworben – wohnen sie längst wieder in der Türkei.
Kanter berichtet: «Als mein Vater zuletzt zum Einkaufen ging, wurde ihm ins
Gesicht gespuckt, er wurde meinetwegen beschimpft, und auch meine Mutter kann
das Haus kaum noch verlassen.» (Tagesanzeiger.ch/Newsnet)