Die AfD wird vom Bundesverfassungsschutz als Prüffall eingestuft.
Berlin (Welt) - Die gesamte AfD ist nun ein Prüffall für Verfassungsschützer: Dabei ist eine Beobachtung mit V-Leuten oder anderen nachrichtendienstlichen Mitteln grundsätzlich nicht erlaubt. Zudem erklärt das Bundesamt für Verfasungsschutz (BfV) den rechtsnationalen Flügel der Partei um den Thüringer AfD-Landeschef Björn Höcke und die Partei-Nachwuchsorganisation Junge Alternative zum Verdachtsfall.
Wird eine Organisation zum Verdachtsfall erklärt, so ist eine Beobachtung mit V-Leuten – wenn auch nur sehr eingeschränkt – möglich. Beispielsweise ist dann eine Observation gestattet, ebenso das Einholen bestimmter Informationen von Behörden. Sogenannte V-Leute und die Überwachung von Telekommunikation kommen aber auch hier nicht zum Einsatz. Zuerst hatte der „Tagesspiegel“ darüber berichtet.
Das BfV wird um 15 Uhr in Berlin seine Entscheidungen offiziell bekannt geben. Der FDP-Innenpolitiker Benjamin Strasser begrüßte die Entscheidung. „Es ist überfällig, dass der Verfassungsschutz der AfD und ihren Organisationen ‚Junge Alternative‘ und ‚Flügel‘ stärker auf die Finger schaut“, so Strasser. Immer wieder habe sich gezeigt, dass Abgrenzung zu Rechtsextremen für die AfD nicht mehr als ein rhetorisches Lippenbekenntnis sei.
Die innenpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Irene Mihalic, sagte WELT: „Dass der Verfassungsschutz eine Beobachtung von Teilen der AfD prüft, zeigt, dass man dieser Partei ein hohes Gefahrenpotential zumisst.“ Es sei wichtig, die Vernetzung der AfD mit „gewaltbereiten rechtsextremen Gruppierungen bis hin zu terroristischen Bestrebungen genau zu analysieren“. Die jüngsten Angriffe der Identitären Bewegung auf Redaktionen und Parteigeschäftsstellen hätten erneut gezeigt, welches Gewaltpotential das rechtsextreme Netz im Um- und Vorfeld der AfD habe.
Nach WELT-Informationen zufolge hat der Inlandsnachrichtendienst in den vergangenen Wochen das Material zur AfD, das Ende 2018 aus den Bundesländern zugeliefert worden war, gesichtet und bewertet. Die Materialsammlung soll 1070 Seiten umfassen und Äußerungen von AfD-Mitgliedern, Social-Media-Postings, Material aus diversen Wahlkämpfen sowie Erkenntnisse über Verbindungen zu rechtsextremen Organisationen enthalten.
Verfassungsfeinde? Das heiße Eisen der AfD-Beobachtung
In der Kölner Behörde war eine Arbeitsgruppe von 17 Juristen und Rechtsextremismus-Experten mit der Bewertung des AfD-Materials befasst. Sie sollen ein 450-Seiten umfassendes Gutachten erstellt haben, in dem Teilstrukturen der AfD, etwa die Jugendorganisationen Junge Alternative (JA) in Baden-Württemberg oder die Patriotische Plattform in Nordrhein-Westfalen auf verfassungsfeindliche Bestrebungen analysiert werden.
Der Sprecher der Patriotischen Plattform, Hans-Thomas Tillschneider, will „voraussichtlich Anfang März“ eine Mitgliederversammlung der Patriotischen Plattform durchführen. Dort werde er die Auflösung beantragen, so Tillschneidergegenüber WELT. „Sollte die Auflösung keine Mehrheit finden, trete ich als Sprecher zurück“, so Tillschneider weiter. Der AfD-Landtagsabgeordnete in Sachsen-Anhalt hatte bereits Ende September die Auflösung der ultrarechten Organisation angekündigt.
Noch im März hatten es die Verfassungsschützer abgelehnt, die Partei genauer in den Blick zu nehmen. Einig war man sich dem Vernehmen nach aber keineswegs. Viele Länder wollten da bereits prüfen, ob eine Überwachung angebracht ist. Andere, vor allem das Bundesamt, positionierten sich hingegen als Zweifler.
Schließlich erfolgte im August dann doch noch eine offizielle Aufforderung des Bundesamtes an die Länder, ihr Material einzuschicken – das passierte aber erst nach der erneut entflammten Diskussion über vertrauliche Gespräche zwischen dem damaligen BfV-Chef Hans-Georg Maaßen und der damaligen AfD-Chefin Frauke Petry.
In den vergangenen Monaten hatte es mehrere Telefonkonferenzen der Fachleute aus Bund und Ländern gegeben, Anfang November traf man sich in Köln. Zunächst hat im Bundesamt die Abteilung für Rechtsextremismus das eingereichte Material gesichtet und eine erste Einschätzung abgegeben. Mit der Bewertung waren dann zum Teil Beamte beauftragt, die in der Vergangenheit Erfahrungen aus der Beobachtung der NPD und dem anschließenden Verbotsverfahren gesammelt haben.
Die Partei versucht, die Beobachtung zu vermeiden. Der Freiburger Staatsrechtler Dietrich Murswiek hat im Auftrag des Bundesvorstands im November ein Gutachten erstellt, in dem er warnt: Wenn die AfD einer Beobachtung durch den Verfassungsschutz entgehen wolle, sollten Begriffe wie „Umvolkung“ oder „Überfremdung“ vermieden werden.
Dass die Entscheidung über eine AfD-Beobachtung nun doch am Dienstag verkündet wird, sorgt indes für einige Verstimmung im Verfassungsschutzverbund. Noch Ende der vergangenen Woche hatte es demnach geheißen, der Termin der offiziellen Verkündung durch BfV-Präsident Haldenwangsei auf die zweite Januarhälfte verschoben.
Immerhin haben es zuletzt einige Entwicklungen innerhalb der AfD gegeben, die eventuell zu einer Neubewertung der Materialsammlung führen könnten, so sagen Vertreter der Landesbehörden für Verfassungsschutz – etwa der Parteiaustritt des ehemaligen AfD-Vorsitzenden in Sachsen-Anhalt, André Poggenburg.