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Junge Politiker an Merkel: „Ihre Politik hat das Land gespalten“

Mittwoch 09.Januar.2019 - 06:51
Die Referenz
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Autorin: DELARA BURKHARDT

 

Wenn ich das Deutschland von 2005 mit heute vergleiche, sehe ich ein Land, das reicher und mächtiger geworden ist. Und gleichzeitig sehe ich dramatische Ungleichheit und erstarkenden Rechtspopulismus. Dafür hat Angela Merkel nicht die alleinige Verantwortung, aber sie hat zu dieser Entwicklung wesentlich beigetragen.

 

Mit einer Strategie, die in der Politikwissenschaft als „asymmetrische Demobilisierung“ bezeichnet wird, hat sie die Unterschiede zwischen den einstmals großen Volksparteien eingeebnet. Merkels Erfolgsrezept: kontroverse Themen vermeiden oder von Mitbewerbern übernehmen, um den politischen Gegner und seine Anhängerschaft auszubremsen.

 

Merkels Unterstützer feierten diese Haltung lange als pragmatische Realpolitik. Ich halte sie für fehlenden Mut. Merkel hat den Streit aus dem politischen Raum entfernt. Der belebende Bewerbungsprozess um ihre Nachfolge als Parteivorsitzende hat gezeigt, dass sie damit auch ihre Partei in den letzten Jahren erschöpft hat.

 

Ich bin überzeugt: Merkels Stil hat zu einer Entpolitisierung der Mitte geführt. Ihre Politik der Alternativlosigkeit hat das Land politisch und sozial gespalten. Obwohl sie aus Ostdeutschland stammt, war sie keine Kanzlerin der Einheit. Der Osten der Republik fühlt sich heute weiter abgehängt als je zuvor. Der wachsende Wohlstand der letzten Jahre ist bei zu wenig Menschen angekommen. Das gilt für Europa noch mehr.

 

In der Europapolitik hat Merkel stets den kleinsten gemeinsamen Nenner gesucht. Banken wurden mit Milliarden Euro gerettet. Für die Millionen Jugendlichen in Südeuropa, die seit Jahren ohne Perspektive sind, hat Merkel keinen Finger gerührt. Im Gegenteil: Durch die Anordnung von Sparpolitik in der Finanzkrise wurden Investitionen in die Zukunft einer ganzen Generation lahmgelegt.

 

Auch in der europäischen Politik war alles immer irgendwie alternativlos. Genau wie in Berlin regierte in Brüssel lange eine inoffizielle Große Koalition. Dadurch ist die politische Debatte um die Zukunft Europas auf ein stumpfes für oder gegen Europa reduziert. Das pro-europäische Lager wird als Einheit wahrgenommen werden. Es gibt keine Diskussion darüber, welches Europa wir wollen.

 

Als SPD-Europakandidatin trete ich dafür an, das zu ändern. Es reicht nicht, fahnenschwenkend für Europa zu sein. Auch die Menschen, die für Europa sind, wollen wissen, was sich in der EU ändern muss. Die großen europäischen Fragen: europaweite Mindestlöhne, solidarische Migrationspolitik, die Besteuerung von Internet-Konzernen oder soziale Absicherung hat Merkel keinen Schritt vorangebracht.

 

Im Herbst von Merkels Karriere kommt auch ihr politisches und wirtschaftliches Modell an ein Ende. Die gravierende Ungleichheit in Europa und Deutschland hat die Gesellschaft gespalten und den Aufstieg der rechten Kräfte in Europa begünstigt. 

 

Natürlich ist Merkel dafür nicht allein verantwortlich. Als Sozialdemokratie müssen wir kritisch eingestehen, dass wir neun von mehr als dreizehn Merkelschen Regierungsjahren Große Koalition mitgetragen haben. Wir haben also genauso wie die CDU Verantwortung dafür, Unterschiede in den politischen Angeboten wieder deutlich zu machen. Die Zukunft scheint aktuell sehr ungewiss.

 

Trotzdem verbinde ich mit dem Ende der Ära Merkel eine Hoffnung. Ich will, dass der politische Streit, der Wettbewerb um die besten Ideen wieder in das Zentrum des politischen Geschehens rückt. Die Europawahlen sind dafür ein erster Test. Gelingt die Veränderung politischer Kultur nach Merkel? Ich werde dafür kämpfen!

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